von Harald Rieger
Es gibt zahlreiche Gründe, schon zu Lebzeiten eine Immobilie in die nächste Generation zu übertragen. Erbrechtlich ist nach der gesetzlichen Regelung zwar der Wert einer solchen Schenkung bei der Pflichtteilsberechnung als Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berücksichtigen. Allerdings schmilzt der Schenkungswert für jedes Jahr nach der Schenkung um 10% ab, so dass nach Ablauf von 10 Jahren der Schenkungswert aus der Pflichtteilsergänzung vollständig herausfällt (§ 2325 Abs. 3 BGB).
In der erbrechtlichen Praxis kann deshalb eine lebzeitige Übertragung der Immobilie einer Vermeidung bzw. Verminderung von Pflichtteilsansprüchen dienen.
Schon vor längerer Zeit hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine solche Abschmelzung nicht stattfindet, wenn sich der Erblasser einen vollständigen Nießbrauch an der Immobilie vorbehalten hat.
Nach einem kürzlich veröffentlichten Urteil des Oberlandesgerichts München gilt dies gleichermaßen auch dann, wenn der Erblasser sich ein Wohnungsrecht an der Immobilie vorbehält und dieses dazu führt, dass der Erblasser nach der Schenkung weiterhin die gesamte relevante Wohnfläche der Immobilie für sich nutzen kann. Ein Unterschied zwischen einem eingeräumten Wohnungsrecht und einem Nießbrauch sei dann so gering, dass beide Fälle bei der Pflichtteilsergänzung gleich zu behandeln seien, so das OLG München in seinem Urteil vom 08.07.2022 (Az. 33 U 5525/21).
In der erbrechtlichen Gestaltungspraxis bietet es sich vor diesem Hintergrund an, das mit der Schenkung vorbehaltene Nutzungsrecht auf einen (ausreichend geringen) Teil der Immobilie zu beschränken.
In jedem Fall sollten Sie sich bei der Gestaltung einer solchen lebzeitigen Schenkung und einer darauf aufgebauten letztwilligen Verfügung anwaltlich beraten lassen.
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